Ein Mountainbike-Wochenende im Tessin

Der Schweizer Kanton Tessin ist geprägt durch palmengesäumte Seen, umgeben von den hohen Berggipfeln der Alpen. Der Kanton nimmt mit 2.812 km² etwa 7% der Gesamtfläche der Schweiz ein und wird im Süden komplett von Italien umschlossen. Die Amtssprache ist Italienisch und das Lebensgefühl hat einen Hauch von italienischer Dolce Vita, gepaart mit Schweizer Ordnung und Pünktlichkeit. Im Tessin liegt bei Chiasso der südlichste Punkt der Schweiz und am Lago Maggiore mit nur 193 m über dem Meer zudem der tiefste Punkt der Schweiz.

Der Blick auf den Globus zeigt: Das Tessin ist in etwa genauso weit vom Nordpol entfernt wie vom Äquator und liegt damit mitten in der gemäßigten Klimazone. Mit 2.170 Sonnenstunden im Jahr ist das Tessin die sonnigste Region der Schweiz. Die Temperaturen sinken nur selten unter 0°C oder steigen über 30°C. Perfekte Voraussetzungen also für ein sonniges Bike-Wochenende.

Hier stelle ich Euch die schönsten Mountainbiketouren rund um Lugano und Locarno vor.

Locarnos Hausberg Cimetta

Aus dem Sessellift kann man in aller Ruhe das Panorama genießen.

Unsere erste Tour führt uns auf Locarnos Hausberg Cimetta. Wer sich seine Kräfte für die Abfahrt sparen möchte, schwebt von Orselina, einer kleinen Gemeinde oberhalb von Locarno, zunächst mit einer modernen Gondelbahn bis zur Bergstation Cardada auf 1.340 m unterhalb der Cimetta. Die gläserne Gondel sowie die beiden Stationen wurden vom berühmten Tessiner Architekten Mario Botta entworfen und sind schon Grund genug für einen Besuch. Vom Aussichtssteg wenige Meter von der Bergstation entfernt bietet sich ein toller Ausblick über Locarno, Ascona und den Lago Maggiore. Noch höher hinaus geht es mit einem Zweiersessellift, der einen bequem auf 1.670 m Höhe bringt. Schon während der Fahrt kann man in aller Ruhe das Panorama genießen, denn die Sitze wurden schräg ausgerichtet, so dass man den See während der siebenminütigen Fahrt immer im Blick hat. Vom Gipfel kann man bei gutem Wetter gleichzeitig den tiefsten Punkt und den höchsten Punkt der Schweiz betrachten: Der Blick reicht vom Lago Maggiore bis zur 4.634 m hohen Dufourspitze im Monte-Rosa-Massiv.

Da wir durch die Auffahrt mit der Gondel Zeit und Kraft gespart haben, entschließen wir uns, vor der Abfahrt noch einen Gipfelabstecher zur Cima de la Trosa zu machen. Ambitionierte Downhiller können das Bike hier hinauftragen und über den selben anspruchsvollen Weg wieder hinabfahren. Ich lasse mein Rad lieber an der Cimetta stehen, denn schnell wird klar: Dies ist kein Gelände für mich. Es gibt auch einen leichteren Trail von der Cima de la Trosa direkt wieder ins Tal, diesen haben wir allerdings nicht ausprobiert. Vom Gipfel auf 1.869 m Höhe bietet sich (theoretisch) ein toller 360°-Blick. Leider haben wir etwas Pech und Wolken ziehen, kaum dass wir den Gipfel erreicht haben, aus dem Tal hinauf, so dass wir zwischen den Wolken nur erahnen können, was für eine großartige Landschaft uns zu Füßen liegt. Zurück an der Cimetta lichten sich die Wolken wieder und wir können zumindest von hier noch einmal den Ausblick genießen.

Dann wartet mit dem 397er Trail einer der vielen offiziellen MTB-Trails der Schweiz auf uns und wir machen uns an die Abfahrt. Im oberen Teil ist die Strecke professionell gebaut und Mountainbikern vorbehalten. Über Anliegerkurven und kleine Sprünge surfen wir in den Wald hinein. Nach einer Weile wird der Untergrund grober und es geht über Stock und Stein weiter ins Tal hinab. Irgendwann vereint sich der MTB-Trail mit dem Wanderweg, aber es sind nur wenige Wanderer unterwegs und wir passieren alle problemlos mit einem freundlichen Gruß. Hier ist die Schweiz wirklich vorbildlich: Wege sind explizit für Mountainbiker oder Wanderer beschildert und wo die Wege von beiden Gruppen genutzt werden, wird für Toleranz geworben, die auch auf beiden Seiten gelebt wird.

Auf ungefähr 830 m Höhe führt die Beschilderung des offiziellen Trails über die Straße zurück zur Talstation der Gondel. Nach dem Hinweis von ein paar Locals folgen wir einem anderen Trail, der einem Wanderweg in Richtung Orselina folgt. Auf dem ersten Stück ist der Weg deutlich anspruchsvoller, als der offizielle Trail, nach einer Weile geht es aber auf einem Höhenweg flowig dahin bis wir schließlich über einige Treppen wieder unseren Ausgangspunkt in Orselina erreichen.

Fazit: Bei fast 100% Trailausbeute ist die Runde eine sehr lohnenswerte Tour, vor allem wenn man die Höhenmeter durch Nutzung von Gondel und Sessellift auf fast Null reduziert.

Maroni-Liebhaber sollten im Herbst übrigens ausreichend Platz im Rucksack haben, denn der Weg führt durch einen wunderschönen Kastanienwald und man kommt kaum umhin unterwegs zu sammeln.

Monte Tamaro

Auch der Monte Tamaro kann per Seilbahn erreicht werden, zumindest bis auf die letzten 300 Höhenmeter unterhalb des Gipfels. Von Rivera schweben wir gemütlich in kleinen bunten Gondeln bis zur Bergstation auf 1.530 m Höhe. Hier herrscht ziemlicher Trubel: Der Berg ist ein beliebtes Ausflugsziel mit großem Restaurant, Aussichtsplattform, Abenteuerspielplatz, Flying Fox und Sommerrodelbahn.

Wir suchen schnell das Weite und machen uns an die beschwerlichen letzten 300 Höhenmeter bis zum Trail-Einstieg. Ein Stück können wir bergauf noch fahren, dann wird der Weg steil und grob-schottrig, so dass wir einen Großteil der 300 Höhenmeter schiebend überwinden. An der Hütte Capanna Tamaro, die sich für eine Pause anbietet, ist dann schließlich fast die Höhe erreicht. Es geht nur noch ein kleines Stück weiter hinauf, bevor der Trail kurz vor dem eigentlichen Gipfel des Monte Tamaro steil nach links abzweigt.

Der erste Abschnitt des Trails ist anspruchsvoll, schottrig und ausgesetzt. Fahrfehler darf man sich hier nicht erlauben und sicherheitshalber schiebe ich das ein oder andere Stück. Erst mit Eintritt in den Wald wird der Trail flowiger und die Absturzgefahr reduziert sich deutlich. Der Trail macht nun richtig Spaß und wir flitzen über Wurzeln und kleine Stufen. Wir passieren zweimal eine Straße, finden aber immer nach ein paar Metern den Trail wieder. Spitzkehren-Fans werden auf den letzten 200 Höhenmetern ihre wahre Freude haben: Ungelogen mindestens 50 Kehren reihen sich hier aneinander. Nach insgesamt 1.400 Tiefenmetern erreichen wir in Toricella-Taverne die Straße.

Fazit: Trail-Technisch die beste Tour unseres Wochenendes. Einziger Nachteil ist, dass vom Ende des Trails bis zur Talstation der Gondel ca. 10 km und 150 Höhenmeter entlang der Straße zurückgelegt werden müssen. Es gibt zwar einen gut ausgeschilderten Radweg, aber dennoch zieht sich dieses Stück am Ende ziemlich. Eine Alternative ist, den Abschnitt per Zug zurückzulegen. Die Talstation in Rivera liegt nur wenige hundert Meter vom Bahnhof entfernt.

Panorama-Tour am Monte Bar

Es gibt verschiedene Möglichkeiten zum Monte Bar und den umliegenden Gipfeln zu kommen, wir starten unsere Tour in Tesserete. Zunächst geht es gute 1.000 Höhenmeter hinauf bis zum Passo di San Lucio. Die Grenze nach Italien verläuft genau auf dem Bergkamm und auch die Hütte Capanna San Lucio steht genau auf der Grenze und lässt zwei Flaggen im Wind wehen.

Die ersten 500 Höhenmeter treten sich noch bequem auf einer wenig befahrenen Asphaltstraße, dann wechselt der Untergrund zu einem schottrigen Waldweg und es wird steiler und anstrengender. Am Pass werden wir mit einem großartigen Panorama über den Luganer See und seine umliegenden Gipfel bis hin zu den 4.000ern des Wallis belohnt. Dafür hat sie die die Mühe schon einmal gelohnt.

Auf den nächsten 7 km folgt der landschaftliche Höhepunkt der Tour: Auf einem schmalen Höhenweg, der sogar als offizielle Mountainbike Route ausgewiesen ist, fahren wir unterhalb des Gipfelgrads von Monte Cucco und Cima Moncucco entlang und müssen uns zwingen auf den Weg statt auf die Aussicht zu schauen. Leider fehlt dem Weg der Flow-Faktor, denn es tauchen immer wieder Gegenanstiege vor uns auf und auch bergab zwingen einige hohe Stufen und technische Stellen zum Absteigen. Zudem müssen wir oft anhalten, um Wanderer oder entgegenkommende Biker passieren zu lassen, aber trotz relativ viel Betrieb klappt das Miteinander von Wanderern und Mountainbikern wieder erstaunlich gut. Als wir schließlich unterhalb des Monte Bar in den Trail einbiegen haben wir mit dem ständigen Auf und Ab 300 zusätzliche Höhenmeter absolviert.

Vom Piandanazzo, wo wir uns am Brunnen noch einmal stärken, führt ein flowiger Trail durch den Wald in Richtung Tal. Der Weg verliert nur langsam an Höhe, ist nicht anspruchsvoll und macht mit vielen Wurzeln und weichem Waldboden wirklich Spaß.

Der Trail mündet in einer Straße, auf der man, wenn die Zeit knapp wird, ins Tal rollen kann. Wir treten noch einmal knappe 200 Höhenmeter bergauf zur Punta Croce. Bevor wir uns an die finalen 800 Tiefenmeter machen, genießen wir hier nochmal den traumhaften Ausblick über sämtliche Arme des Luganer Sees. Und für Spielkinder wie mich, gibt es sogar eine Schaukel.

Der Trail, der direkt am Kreuz beginnt, ist zu Beginn sehr anspruchsvoll und mit grobem Geröll gespickt. Später im Wald kehrt der Flow zurück und der Trail führt uns spaßig über Almen zurück ins Tal. Der Trail endet erst kurz vor Tesserete und wir müssen nur noch ein kurzes Stück über die Straße bis zum Parkplatz rollen.

Fazit: Auch diese Tour hat uns sehr gut gefallen und bekommt die meisten Panorama-Punkte. Die Trail-Ausbeute war sehr gut, aber mit 40 km und 1.500 Höhenmetern zählt die Runde durchaus zu den anstrengenderen Unternehmungen. Wer auf den Panoramaweg verzichtet und nur die Trails hinunter nach Tesserete genießen möchte, kann diese auch einfacher und mit weniger Höhenmetern erreichen.

Das Verzasca-Tal

Die MTB Routen sind alle gut ausgeschildert und markiert.

Eine eher gemütliche Tour führt ins Verzasca-Tal mit dem gleichnamigen Fluss. Die Verzasca ist im oberen Teil ein grün-blau schimmernder Gebirgsfluss, bevor sie bei Corippo in einen Stausee mündet und schließlich im Tal in den Lago Maggiore fließt.

Das Verzasca-Tal ist (leider) einer der Besuchermagneten des Tessins und so ist auf der schmalen Straße, die sich parallel zum Fluss das Tal hinauf zieht relativ viel Verkehr. Von Brione, knappe 20 km vom Eingang des Tals entfernt, führt dann die ausgeschilderte MTB-Route Nr. 399 abseits der Straße bis zum Talschluss.

Die Strecke verläuft praktisch die ganze Zeit parallel des Flusses und führt mal über gut ausgebaute Wege, mal über kurze Trailabschnitte. Ein paar mal überqueren wir den Fluss auf Drahtseilbrücken, bis wir nach etwa 9 km und 300 Höhenmetern Sonogno, das letzte Dorf des Tals erreichen. Der Ortskern ist als „schützenswertes Ortsbild“ klassifiziert und man fühlt sich in den schmalen Gassen tatsächlich um Jahrhunderte zurückversetzt. Wenn nicht die vielen Touristen wären. Wir schauen uns also nur kurz um und machen uns dann auf dem gleichen Weg zurück nach Brione. Jetzt rollt es zum Glück ganz gemütlich in Richtung Tal.

Fazit: Das Verzasca-Tal ist auf jeden Fall sehenswert und eine schöne Tour, wenn die Beine von zu vielen Trails und Höhenmetern müde sind. Die Farbe der Verzasca ist tatsächlich so schön, wie auf den vielen Bildern. Leider sind einige bekannte Punkte sehr überlaufen, so dass wir sie lieber gemieden haben. Während der Tour im oberen Ende des Tals war es aber angenehm einsam, erst in Sonogno trafen sich alle Touristen wieder.

Die berühmte Ponte dei Salti.

Auf dem Rückweg zum Lago Maggiore konnten wir es doch nicht lassen, an der berühmten Ponte dei Salti, der berühmten Römerbrücke aus dem Mittelalter, zu halten. In den vergangenen Jahren ist die Brücke zu einem berühmten Instagram-Hotspot geworden und dementsprechend gut besucht ist sie. Tja, seien wir ehrlich: Es ist eine schöne Steinbrücke. Ja. Ist sie schöner, als andere Brücken, die wir schon gesehen haben? Nein. Ist es zu voll, weil jeder Tourist hier anhalten muss. Ja! Seen it, done it – wir fahren schnell weiter.

Infos und Tipps

Eine Empfehlung für einen sinnvollen Übernachtungsort im Tessin ist schwierig. Die interessanten Touren beginnen in verschiedenen Orten rund um Luganer See und Lago Maggiore und am Ende wird man für die ein oder andere Tour immer das Auto bewegen müssen, je nachdem wo man sein Lager aufschlägt. Da wir flexibel mit dem Camper unterwegs waren, haben wir uns am Ende entschieden, jeden Tag woanders zu bleiben und uns so von Tour zu Tour auf einer Art Mini-Roadtrip durch das Tessin zu bewegen. An beiden Seen gibt es unzählige Campingplätze, so dass es zumindest im Oktober kein Problem war jeden Abend spontan einen Stellplatz zu finden.

Auf der Webseite von Schweiz Mobil finden sich Tourenvorschläge in der gesamten Schweiz, die dann auch durchgängig sehr gut beschildert sind. Wir waren überrascht, dass sich hier auch gute Trails verstecken, da sich offizielle Touren sonst häufig auf Forstwegen bewegen. Teilweise können die Strecken durch Variationen oder Kombinationen noch optimiert werden, aber die Webseite bietet eine sehr gute Basis für die Tourenplanung.

Zur Unterstützung gibt es drei Gondeln, die einem den Aufstieg bei ausgewählten Touren abnehmen können, die alle problemlos Mountainbikes befördern.

Auf die Cardada bzw. Cimetta gelangt man zunächst mit einer Gondel und anschließend mit dem Sessellift. Die Bergfahrt inkl. Bike kostet derzeit (Oktober 2022) knackige 36 CHF. Da lohnt sich der Kauf einer Tageskarte für 48 CHF, wenn man den Trail zwei Mal in Angriff nehmen möchte. Alternativ müssen gute 1.000 Höhenmeter auf einer Asphaltstraße hinauf getreten werden.

Günstiger kommt man auf den Monte Tamaro. Die Bergfahrt bis zur Alpe Foppa kostet samt Bike nur 24 CHF. Gemessen am Abfahrtsspaß stimmt das Preis-Leistungsverhältnis hier.

Auch wenn wir dort nicht waren, ich also keine Erfahrungswerte liefern kann, möchte ich den Monte Lema nicht unerwähnt lassen. Er steht in einer Kette mit dem Monte Tamaro zwischen den beiden Seen. Für Mountainbiker gibt es hier mehrere offizielle Routen und die Bergfahrt mit der Gondel kostet samt Bike 23 CHF. Wer alle Strecken ausprobieren möchte, ist mit einer Tageskarte für 40 CHF gut versorgt.

Insgesamt waren wir vor allem begeistert, dass Mountainbiker hier mit offenen Armen empfangen werden. Es gibt nur wenige Verbote und wenn Wege exklusiv Wanderern vorbehalten sind, gibt es in der Nähe immer auch eine Alternative für die Mountainbiker. Auf den geteilten Wegen war das Miteinander zwischen Wanderern und Mountainbikern durchweg freundlich und rücksichtsvoll. Biker fahren etwas langsamer, Wanderer machen Platz, es wird freundlich gegrüßt – so haben wir es bisher nur in der Radfahrnation Italien erlebt.

Wer mehr Zeit hat, kann einen Aufenthalt an Luganer See und Lago Maggiore perfekt mit weiteren Tagen am Comer See kombinieren. Von Lugano ist es keine Stunde Fahrzeit bis nach Menaggio. Die besten Tipps und Infos zum Comer See findet Ihr hier.

Für einen Tag ohne Fahrrad bietet sich ein Ausflug nach Lugano mit Wanderung auf den Monte Bré an.

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